Mies van der Rohe und Ecksteine seines Werkes
Ludwig Mies van der Rohe wird am 27. März 1886 in Aachen unter dem bürgerlichen Namen Maria Ludwig Michael Mies geboren. Erst um 1921 verbindet er den Namen seines Vaters mit dem Mädchennamen der Mutter durch das Bindeglied "van der" zu Mies van der Rohe.
Mies van der Rohes Ausspruch "Less is more" (Weniger ist mehr) ist symptomatisch für seine Entwürfe mit ihren klaren Formen und der intensiven Auseinandersetzung mit dem Material als solchem. Der Einsatz von Glas, Stahl und Beton prägt seinen markanten Stil. Sein Werk, in Amerika vor allem seine imposanten "Wolkenkratzer", beeinflusst die Architektur bis heute; Mies hat damit den "International Style" begründet. Er "erfand" auch den heute in aller Munde verwendeten Kunstbegriff "design" zusammen mit seiner Bauhaus-Mannschaft nach ihrer erzwungenen Auswanderung von Berlin in die USA als Übersetzung des Bauhaus-Terminus "Gestaltung".
Ludwig MIES IN AACHEN
Auf den Spuren von Ludwig Mies in Aachen
– Besucherin aus Konz bei Trier sammelt Indizien und schildert ihre Eindrücke
Teil I: Kindheit und Jugend bis zum Besuch der Gewerbeschule
„Mies im Westen“[1] - diesbezüglich hatte ich mich schon seit dem Bauhausjubiläum 2019 in Krefeld , Essen, Düsseldorf, Köln und Duisburg auf Spurensuche begeben. Nun nahm ich mir vom 7.-13.November 2022 die Heimatstadt von ‘Maria Ludwig Michael Mies‘ vor, in der er 1886 als jüngstes von 5 Kindern einer aus dem ostbelgischen Raeren[2] stammenden (damals noch Kreis Eupen im Königreich Preußen) und seit Mitte des 19. Jh. in Aachen ansässigen Steinmetzfamilie geboren wurde[3] und die ersten 19 Jahre seines Lebens verbrachte, 1905/06 nach Berlin ging, dort 1908-1912 mit Unterbrechungen im Atelier Peter Behrens tätig war, 1912 - 1937 Am Karlsbad 24 seine Wohnung sukzessive zum etablierten Architekturbüro ausweitete, 1922 den „Namen der Mutter nahm, ihn zu dem Vater heranbrachte“ und sich durch die Verbindung mit dem holländisch-aristokratisch klingenden „van der“ fortan Ludwig Mies van der Rohe nannte[4], 1930-1933 als dritter Bauhausdirektor zunächst in Dessau, dann in Berlin-Steglitz tätig war, 1938 nach Chicago emigrierte und dort 1969 verstarb. [5]
1 Die Eltern Amalie Mies, geb. Rohe und
Michael Mies 1921
2 Ludwig Mies im Alter von ca. 9 Jahren (1895)
(Archiv Dirk Lohan)
Zunächst erkundete ich das Gebiet um das Adalbertstift nach den väterlichen und großväterlichen Marmorhandlungen, die Michael und Jacob Mies in der Adalbertstraße 116 und im Gasborn 14 , in unmittelbarer Nähe zum ab 1810 angelegten Ostfriedhof seit 1875 betrieben.[6] Sie stellten dort hauptsächlich Kamineinfassungen her, nach denen die Nachfrage groß war.
Nach dem Tod des Großvaters Jacob erlebte der Betrieb unter Führung von Vater Michael und dessen älterem Bruder Carl in der Zeit um 1888, als Ludwig noch ein Kleinkind war, seine größte geschäftliche Blüte.[7]
Das ehemalige Gebäude Adalbertstraße 116 (Abb. 3) ist von dem im Oktober 2015 neu eröffneten Einkaufszentrum ‚Aquis Plaza‘ vollständig überbaut worden (Abb. 4-6).[8]
3 Adalbertstraße 116 (Archivfoto 1942)
4 Adalbertstraße mit Aquis Plaza (2022)
5 Adalbertstraße Richtung Adalbertstift (2022)
6 Adalbertstraße Ecke Heinrichsallee
(2022)
7 Gasborn 14
(2022)
8 Straßenzug
Gasborn 10-16 (Archivfoto 1942)
Mies‘ Geburtshaus in der Steinkaulstraße 29 ist –da im Krieg nicht zerstört- noch nahezu im ursprünglichen Zustand erhalten. Mit einer 1999 an dem frisch renovierten Bürgerhaus angebrachten Gedenktafel (Abb. 9) nach Entwurf des Kölner Künstlers Hans Hochhaus und Anfertigung durch den Steinmetz Heinrich Ortmanns, Nachfolger der Steinmetz-Werkstatt Mies-Maillard[9], wurde „Mies der Große“ damals geehrt (Abb. 10) . Die Tafel besteht aus den Lieblingsbau- und Möbel-Materialien von Mies: belgischem Granit[10] und einer flaschengrünen Glasplatte, die mit Edelstahlschrauben befestigt wurde. Initiatorin war damals Eva-Maria Husten- Schwiede[11]
Hier wohnte die Familie Mies von
1879-1899/1901. Vermutlich war das Wohnhaus nur wenige Jahre vor dem Einzug der
Familie fertiggestellt worden.[12]
Vater Michael Mies eröffnete hier 1889 als „Steinmetzmeister“ seine erste
eigene „Marmorhandlung, Stein- und Bildhauerei“[13]
9 Gedenktafel
(2022)
10
Enthüllung der Gedenktafel am 18.8.1999 (Aachener Zeitung)
11 Geburtshaus
Steinkaulstraße 29 mit
angrenzenden Häusern (2022)
Es handelt sich um ein 4-stöckiges repräsentatives Gebäude von Ende des 19. Jh. mit Stuckornamentverzierungen und einer breiten Toreinfahrt (Abb. 11+12). Das originale Tor ist nicht mehr erhalten. Das heute sichtbare Eisentor mit sichtdurchlässiger Struktur muss aufgrund eines älteren Vergleichsfotos (Abb. 16) nach 2002 angebracht worden sein (Abb.13)
12
Steinkaulstraße 29 (2022)
13
Einfahrtstor Steinkaulstraße 29 (2022)
Das Tor wechselte im Lauf der Jahre seine Gestalt und Ausführung: Auf einem Archivfoto , welches einem Umschlag (datiert auf 1977) einer Serie von Fotos des gesamten Stadtgebiets aufgrund von Gebietssanierungsplänen angehört, ist das Tor wahrscheinlich nach innen eingeklappt (Abb. 14).
Sichtbar ist es auf einer Aufnahme von 1986: Ein hellgraues massives Eisentor (Abb.15).
Auf einer Aufnahme von 2002 ist ein helbraunes Holztor zu sehen (Abb.16).
14 Steinkaulstraße 29 (Archivbild 1977)
15 Steinkaulstraße 29 (1986)
16 Steinkaulstraße 29 (2002)
Auf einem Ausschnitt des Archivfotos von 1977 (Abb. 17) sind an der Fassade im Erdgeschoss quadratische gekreuzte Bergwerkszeichen zu erkennen, von enen 3 unterhalb der Lisenen auf Torsturzhöhe angebracht waren. Welche Bedeutung sie hatten, ist unklar[14]
17 Ausschnitt der Fassade Steinkaulstraße 29 mit angebrachten Bergwerkszeichen (1977)
Auch ließ sich nicht feststellen, wann diese Zeichen angebracht wurden Bei der Enthüllung der Gedenktafel 1999 waren sie jedenfalls verschwunden (Abb. 10). Lediglich das auffällige „Eisengitter-Medaillon“ (mit erkennbarem Schriftzug „Bau-M…-Schlosserei“) auf dem Fries des Toreinfahrts-Gebälks war noch vorhanden. Dieses wurde nach 2002 (Abb. 16) ebenfalls entfernt. Dessen Anbringungsdatum und Bedeutung ist ebenso wie die der Bergwerkszeichen unklar.[15]
18 Steinkaulstraße 29
, Treppenaufgang (2022)
19 Steinkaulstraße 29, Hinterhof (2022)
20 Scheibenstraße 14, ca. 1914 (Archivbild)
Es sei zwar nicht wissenschaftlich bewiesen, aber durchaus denkbar, dass Ludwig in der Zeit, in der die Familie hier bis um 1900 wohnte, „um die Ecke“ beim in der Steinkaulstraße 11 seit 1891 ansässigen Stuckateurbetrieb Ritzerfeld (Adressbuch Aachen) seine erste „Ausbildung“ und Möglichkeit bekommen hat , sein zeichnerisches und handwerkliches Talent praktisch auszuüben. Es würde zu Mies‘ in späten Jahren Dirk Lohan gegenüber geschilderten Erinnerungen an heimische Baustellen und Werkstätten passen.[17]
21 Steinkaulstraße 11 mit galerie freitag 18.30 im EG (2022)
22 Steinkaulstraße 11,
Hinterhofgebäude (2022)
Das 4-geschossige, vor 1876 errichtete Wohnhaus mit „spätklassizistischer Putzfassade“[18] hatte schon von Beginn an ein Hinterhofgebäude (Abb. 22), welches zum Stuckateurbetrieb dazugehört haben könnte, wie Robert Mertens vermutet. Dieses wird heute als zusätzliches Ausstellungsgebäude seiner Kunstgalerie genutzt[19]
Nachdem Ludwig Mies von der Steinkaulstraße aus die Aachener Grundschule und daran anschließend ca. 3 Jahre die Aachener Domschule besucht hatte, absolvierte er von 1899 – 1901 einen 2-jährigen „Kursus“ in den „Gewerblichen Schulen der Stadt Aachen“ am damaligen Martinsplatz[20]……….
(…damit beginnt der zweite Teil dieses Beitrags……..)
Abbildungsnachweis
Abbildung 1
aus Schulze 1986, p. 20
Abbildung 2
Privatbesitz Dirk Lohan, Chicago
Abbildung
3
Stadtarchiv Aachen StAAc FOTO 1-60
Abbildung 4
eigene Aufnahme 2022
Abbildung 5
eigene Aufnahme 2022
Abbildung 6
eigene Aufnahme 2022
Abbildung 7
eigene Aufnahme 2022
Abbildung 8
Stadtarchiv Aachen StAAc, FOTO1 – 404
Abbildung 9
eigene Aufnahme 2022
Abbildung
10 Aachener Nachrichten Nr. 190, 18.8.1999 (Archiv Meinolf
Engel)
Abbildung 11
eigene Aufnahme 2022
Abbildung 12
eigene Aufnahme 2022
Abbildung 13 eigene Aufnahme 2022
Abbildung 14
Stadtarchiv Aachen StAAc_FOTO 2-1397
Abbildung 15 aus Schulze 1986 (Privatarchiv Adam C.
Oellers)
Abbildung 16
Timothy Brown auf flickr.com, 25.
Mai 2002
Abbildung 17 Ausschnitt Abbildung 14
Abbildung 18
eigene Aufnahme 2022
Abbildung 19
eigene Aufnahme 2022
Abbildung 20
Stadtarchiv Aachen StAAc 30-7-8-1
Abbildung 21
eigene Aufnahme 2022
Abbildung 22 eigene Aufnahme 2022
Susanne Maywurm
Schillerstraße 33
54329 Konz
Tel.: 06501-3939
maywurm@t-online.de
Fortsetzung folgt………….
[1] So auch Titel der neuesten wissenschaftlichen Publikation des Geymüller-Verlags Aachen-Berlin 2022
[2] Lohmann/Scholz 2022, p. 49; Schild 1991, p. 148 und 192 Anm. 862 sieht dies als nicht belegte Überlieferung.
[3] Michael Mies ist der Erste der Familie, der 1851 in Aachen geboren wurde; Mies‘ Großvater Jacob, der 1814 in Blankenheim geboren wurde, ist im Aachener Adressbuch 1855 als Marmorbildhauer eingetragen.
[4] Dirk Lohan Vortrag 27.3.2011, DVD-Film Festakt .125-jähriges Geb.-jubiläum, hebt die Besonderheit der neuen holländisch-aristokratisch klingenden Namensgebung hervor, welche als Zäsur zwischen Anfangsjahren und seiner dann entschiedenen Hinwendung zur Avantgarde verstanden sein möchte.
[5] Über Ludwig Mies‘ Kindheit am Rhein und Anfänge in Berlin siehe Cohen 2018 (3.A.), pp. 11-21. Einen biographischen Gesamteindruck vermittelt Mies‘ Mitarbeiter im Chicagoer Büro Peter Carter 1961.
[6] Erinnerungen von Mies an die familiären Steinmetzbetriebe in The Lohan Tapes 2021, pp. 44-47
[7] Schulze 1986, p. 19
[8] Das Beste an Aquis Plaza ist der dem römischen Stadtnamen „Aquis Granum“ entlehnte Name, der sich auf Aachens Heilquellen und auf eine vermutete Verehrung des Apollo Grannus bezieht. -8 Jahre nach der Eröffnung wird die Aachener Einkaufsmall nicht nur von Stadtplanungsexperten als Bausünde und Eingriff in ein seit dem Mittelalter gewachsenes Viertel bezeichnet (aachener-zeitung.de 28.2.23 Christa Reicher).
[9] Über die Enthüllung der Gedenktafel zum 30. Todestag von Mies van der Rohe siehe: ‚Aachener Nachrichten‘ 18.August 1999 Artikel von Ingrid .Peinhardt-Franke (Archiv Meinolf Engel). Die Werkstatt Mies-Maillard entstand durch Zusammenschluss beider Aachener Steinmetzbetriebe unter Ewald Mies nach dem II. WK, hierzu mehr in einem der folgenden Kapitel…l
[10] sogenannter ‚belgischer Granit/Marmor‘, ein harter und witterungsbeständiger regionaler Kalkstein, der ‚Aachener Blaustein‘ genannt wird, siehe https://www.aufmerksam-wandern.de/themen/thema_002.php Dieser ist in der Einfahrt als Eingangs-Treppenstufen und Randschwielen für die Kutschenräder erhalten.
[11] baunetz.de/meldungen 18.08.1999 und Kommentar der Initiatorin 17.5.2009.
[12]Haus Nr. 11 wurde zum Beispiel vor 1876 errichtet, siehe Anm. 15.
[13] Adressbuch Aachen 1889, sowohl mit Steinkaulstraße 29 als auch Adalbertstraße 116 gemeldet. Michaels Bruder Carl war mit „Marmor- und Bildhaueratelier“ weiterhin in der Adalbertstraße 116 tätig. In Lohmann/Scholz 2022, p.49 Abbildung von Michael Mies‘ Eröffnungsanzeige bereits 12.2.1888.
[14] Ernst Cremer (Schriftliche Mitteilung) gab den Hinweis auf zahlreiche Bergbauwerke im Aachener Revier, z.B. das Steinkohlebergwerk in Kohlscheid oder die Gruben der belgischen Bergbaufirma „Vieille Montagne“. Eine Bezugnahme der Symbole auf das Wohnhaus (Kohlenhandlung?) oder gar des Steinmetzbetriebs als evtl. Zulieferer ist bisher nicht nachgewiesen.
[15] Diesbezügliche Anfragen an das Denkmalamt Aachen und den Fachbereich Bauaufsicht führten zu keinen weiteren Erkenntnissen.
[16] Wohl damals schon in Verbindung zum Steinmetzbetrieb H.-J. Maillard, aber vermutlich nur als Lagerplatz, da Michael Mies NUR 1895 im Adressbuch hier gemeldet ist
[17] Mündliche Mitteilung Robert Mertens. Siehe Adressbücher Aachen 1891 Eintrag: Adam und Heinrich Ritzerfeld, „Stuckaturer und Pliestermeister“ – ein Pliesterer war so etwas wie ein Gipser oder Verputzer. Weiterer Beleg: Genehmigungsanfrage von H. Ritzerfeld an „K.Pol.Direction z. Aachen“ vom 29.8.1891 wegen zusätzlichem Lagerraum für Holzkohle (Archiv Robert Mertens). Leider gibt es zur Untermauerung dieser These in The Lohan Tapes 2021 keine Äußerung von Mies selbst zu diesem Betrieb um die Ecke, jedoch spricht er an einer Stelle von „Pliester“ und „Pliesterplatten“ (p. 51 f.)
[18] Siehe Denkmälerverzeichnis Aachen Band 1.1, S. 156 (Kopie im Archiv Robert Mertens)
[19] Schriftliche und mündliche Mitteilung Robert Mertens. Website der Galerie www.freitag1830.de
[20] Mies in The Lohan Tapes 2021, p. 48 :“ Die Gewerbeschule erzog die Leute in zwei Jahren, so dass sie dann in Büros oder Werkstätten arbeiten konnten…sie hatten auch Zeichnen. Da wurde sehr viel Wert darauf gelegt.“